Die Wut fährt mit

Die meisten Menschen wissen, dass die heutigen Schlachtfelder nur noch selten auf einer Landkarte zu finden sind. Die heutigen Kämpfe finden entweder in den Köpfen einzelner statt oder in virtuellen Räumen. Dies erfordert nicht nur taktisches Geschick sondern auch planvolles Handeln. Wer das nicht kann, wird besiegt. Anders im Straßenverkehr. Hier kochen die Emotionen hoch, wie zur Steinzeit. Eine Schlacht ums Überleben, bei der man meinen könnte, das Weiterbestehen oder der Untergang der Nation hinge unmittelbar davon ab. Denn Menschen hinterm Steuer bewerten die Lage vorwiegend aus der eigenen Perspektive und werden dabei zu radikalen Egoisten. Wer seiner Gefühlslage nicht sofort freien Lauf lässt, läuft nämlich vor allem vor sich selbst Gefahr, von der Konkurrenz  knallhart abgedrängt zu werden. Unnachgiebig plustern wir uns auf, stoßen ungefiltert und in direkter Konfrontation Drohungen aus und richten dabei oftmals eine Menge Schaden an.

„Drängeln, Rasen und riskante Überholmanöver sind die bekanntesten Klassiker, sagt Rechtsanwalt Dr. Tilman Krach, Fachanwalt für Verkehrsrecht in Mainz.

Aber auch hoch aggressive verbale Attacken, bis hin zu Nötigungen durch zu dichtes Auffahren, gefährliches Ausbremsen oder wildes Gestikulieren, wie z. B. das Zeigen des bekannten Mittelfingers oder das Drohen mit geballter Faust sind immer häufiger an der Tagesordnung.“ 

Stress ist die Ursache

Dieser Tage braucht es scheinbar Hornhaut auf der Seele. Und auf den Augen und den Ohren. Denn mit Sorge darf man beobachten, dass die Bedeutung von gutem Benehmen und rechtmäßigem Verhalten im Straßenverkehr stark in den Hintergrund rückt. Das soziale Klima ist in ungeahnte Tiefen abgerutscht und viele werden dabei zu schlimmsten Version ihrer selbst.  Zunehmender Stress im Job, Termindruck und knappe Zeitressourcen sind nach Ansicht des Unfallforschers Siegfried Brockmann die Hauptursachen. „Hinzu kommt, dass der Verkehrsraum knapper geworden und die wachsende Konkurrenz darum viele Autofahrer aggressiv macht.“ Auch das „Gefühl von Freiheit“, das einem das Auto eigentlich vermitteln sollte, „fehlt im Alltag total“, meint auch der Verkehrspsychologe Jörg Michael Sohn in der Süddeutschen Zeitung.

„Die Realität ist: Ich stecke im Stau, ich finde keinen Parkplatz, ich komme nicht voran.“

Das sind aber meistens nur die Auslöser, die eigentlichen Ursachen fänden sich im Beruf oder im Privaten. Und diese Tatsache würden viele Verkehrsteilnehmer schließlich mit aggressivem Fahrverhalten kompensieren.

Genau dieses Stimmungsbild bestätigt auch eine Umfrage der Unfallforscher der Versicherer, in der mehr als 39 Prozent der Frauen und fast die Hälfte der Männer zugeben, „manchmal aggressiv“ zu fahren. Spitzenreiter darunter mit,  ca. 58 Prozent sind die Mitte 20- bis Mitte 40-Jährigen. Eine zunehmende Gefahr für alle, denn wer hinter dem Steuer wütet, hat nicht mehr die Kontrolle über sein Fahrzeug. Das Unfallrisiko steigt. Wer hinterm Steuer sitzt, sollte aber einen kühlen Kopf haben, nur dann ist man zweifellos auch am sichersten unterwegs. Dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen davon überhaupt keine Rede sein kann. Ein LKW-Fahrer drängelt auf der Autobahn und wütet oder ein Radfahrer fährt seelenruhig auf der Straßenmitte und beschimpft die Autofahrer in beleidigender Weise. Solche Situationen können einen zur Weißglut treiben. Und nur zu gerne würde man dann seiner Wut darüber freien Lauf lassen und dem Gegenüber einen „Vogel“ oder „den bekannten Mittelfinger“ zeigen. Verständlich, aber trotzdem sollte man seinen Grenzen kennen, denn das kann richtig teuer werden.„Diese Gesten sind keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern eine Straftat, sagt Rechtsanwalt Krach. Es drohen zwar keine Punkte in Flensburg, dafür aber Ärger mit der Justiz und ziemlich hohe Kosten.“

Legal oder strafbar?

Nur mit folgenden Gesten bewegt man sich noch in einer Art Grauzone. Sie erfüllen den „Tatbestand der Beleidigung noch nicht im klassischen Sinne“ und gelten deshalb gerade noch als legal.

Der Schweigefuchs: („Das Gegenüber soll die Klappe halten“): Kennen viele noch aus der  Schule oder dem Kindergarten. Dabei werden Ring- und Mittelfinger auf den Daumen gelegt, kleiner Finger und Zeigefinger nach oben gestellt.

Der Reißverschluss: („Wenn sich das Gegenüber lautstark aufregt“): Daumen und Zeigefinger schließen mit einem imaginären Reißverschluss den Mund.

Heul doch: Eindeutige Geste, die das Gegenüber wohl zur Weißglut treiben kann; stellt aber rechtlich weder eine Bedrohung noch eine Beleidigung dar.

Lippen klimpern: (Das Gerede des Gegenüber ist Blödsinn und uninteressant) Bei dieser Geste klimpern Zeige- und Mittelfinger klimpern auf der Unterlippe.

Anders verhält es sich bei Gesten wie z. B. dem Gegenüber einen Vogel oder den Mittelfinger zeigen; „eine lange Nase machen“ oder einen Scheibenwischer imitieren, indem man mit der Hand vor der Stirn hin und her wedeln. Alle werden als Beleidigung gewertet und können hohe Geldstrafen und schlimmstenfalls auch Freiheitsstrafen nach sich ziehen.

Niemals drohen!

Auch wenn es noch so schwer fällt, in manchen Situationen heißt es Nerven bewahren und auf jeden Fall diese Gesten zu vermeiden: 

Hals abschneiden: („ ich will meinem Gegenüber an die Gurgel“). Dabei streicht man mit der flachen Hand über den Hals.

Pistole: Man zielt mit der Hand, symbolisch als Pistole geformt, direkt  an die Schläfe. Auch hier ist die Drohung eindeutig.

Solche Umgangsformen sind nicht nur völlig unangemessen, sondern könnten auch als Drohung verstanden werden. Und das ist ganz klar verboten. Anders als bei einer „Beleidigung“, bei der man bereits „etwas getan“ hat, beinhaltet eine „Drohung“ nämlich eine „konkrete angedrohte Folge“, sagt Rechtsanwalt Dr. Krach.

Cool bleiben

Erinnern wir uns lieber an die unschuldigen Zeiten, als der Aufenthalt auf der Straße weniger „aufreibend“, „stressig“ und „chaotisch“ war und noch keine schwerwiegenden Hassattacken auslöste, weil vieles einfach egal war. Nicht ganz einfach. Denn es braucht nicht nur regelmäßig Übung, sondern auch die Einsicht, jegliche Eskalationen und aggressives Fahrverhalten zu vermeiden. Und natürlich lässt es sich kaum vermeiden, dass im Straßenverkehr manchmal auch etwas schiefgeht. Aber wenn es zu Gewalt kommt, gehören immer zwei dazu. Deshalb gehören Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme auch zu den obersten Geboten im Straßenverkehr. „Da ist noch ganz viel Luft nach oben, wirklich ganz viel Luft nach oben“, sagen Dr. Krach und Experten zahlreicher Studien. Wer „aggressiv fährt, ist nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für die anderen.“ Denn jedem dürfte klar sein, dass man sein Fahrzeug am besten mit kühlem Kopf lenken sollte. Und sollten einem doch mal die Zügel durchgehen, „erst einmal tief durchatmen und sich auf jeden Fall entschuldigen“, rät der Anwalt.

Also am besten gar nicht erst aufregen, rechtzeitig und ohne Zeitdruck vor einem Termin losfahren und dabei entspannende Musik hören und sich von anderen Verkehrsteilnehmern gar nicht erst provozieren lassen, raten deshalb auch viele Verkehrspsychologen. Und in brenzligen Situationen einfach daran denken: Es gibt hier nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren!

Photo: Alexandre Godreau on Unsplash

2 Kommentare zu „Die Wut fährt mit

  1. Liebe Frau Wallmann,

    Sie haben einen großartigen und unaufgeregten Blog geschaffen. Trotz der Ernsthaftigkeit und der schwierigen Themen, schaffen Sie es in wunderbarer Art – wie Champagner – darüber zu gehen und ihre Leser mit der Realität zu konfrontieren, ohne dass man sich aufregen muss. Ein Lesevergnügen immer und überall und jeden „Cent“ wert. „Die feine Prise Gelassenheit und Understatement, wird tatsächlich zu jeder Zeit kultiviert. Chapeau und mehr davon. Es grüßt Sie herzlich
    Franziska M.

    1. Liebe Franziska M.

      Ich habe Ihren Kommentar gerade erst entdeckt. Herzlichen Dank dafür und viel Freude beim „Weiterlesen“.
      Birgitta Wallmann

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