Crowdworker ist Arbeitnehmer !?

Die fortschreitende Digitalisierung hat in den letzten Jahren zunehmend auch zu Umbrüchen in der Arbeitswelt geführt. So gehört die Vermittlung von Arbeit über digitale Plattformen (Crowdworking) zu den wichtigsten und nachhaltigsten Veränderungen; Essenslieferungen, Fahrdienste, Haushaltsdienstleistungen oder Textarbeit sind Arbeits- und Dienstleistungen und werden immer häufiger über digitale Plattformen geordert und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. So arbeiten auf dem „Crowdworking Monitor“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Jahr 2018 rund 4,8 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland als Crowdworker. Tendenz steigend, was aber auch immer mehr arbeits- und sozialrechtliche Fragestellungen aufwirft. Dies hat sich in der Vergangenheit an diversen Gesetzesinitiativen von Politikern und den Forderungen der Tarifpartner gezeigt, die grundsätzlich der Verbesserung des Status quo von Crowdworkern dienen sollten.  Diese Notwendigkeit teilt auch Fachanwältin und Partnerin Dr. Andrea Panzer-Heemeier der Kanzlei ARQIS in Düsseldorf.

„Der Gesetzgeber muss sich dringend überlegen, ob die recht starre Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Arbeitnehmern noch zeitgemäß ist.

Bundesarbeitminister Hubertus Heil hat in seinem Eckpunktepapier auf jeden Fall bereits konkrete Vorschläge für faire Arbeit in einer starken Plattformökonmie vorgelegt, die vor allem die Rechte von „digitalen Arbeitern“ gegenüber den Arbeitsplattformbetreibern stärken und für faire Bedingungen und mehr sozialen Schutz sorgen sollen. Schließlich könne man nicht zulassen, so Heil, dass die Rechte von online-vermittelten Beschäftigten unter die Räder komme. „Digitalisierung darf nicht mit Ausbeutung verwechselt werden.“ Allein auf die Selbstregulierung der Unternehmen zu setzen, werde deshalb nicht reichen.

Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem jüngsten Urteil (AZ: 9 AZR 102/20) erstmalig zur rechtlichen Situation von Crowdworkern Stellung genommen und festgestellt, dass ein vermeintlich selbst­stän­di­ger „Crowd­wor­ker“ in Wirk­lich­keit ein An­ge­stell­ter sein kann.

Geklagt hatte ein 53-jähriger Mann der für eine Internettplattform und dessen Kunden regelmäßig Aufträge bearbeitete, die unter anderem darin bestanden Fotos von Produktregalen in Läden und Tankstellen zu machen. Mal mit Voranmeldung, mal verdeckt als „Mystery Guest.“ Außerdem sollte er auch Fragen zu einem Reklame-Poster an einer Bushaltestelle beantworten. Die Aufträge (Microtasks) erhielt er über eine App auf sein Smartphone, das bei Einsätzen auch seinen Standort per GPS übermittelte. Die Bezahlung erfolgte digital via Paypal.

Auf der Grundlage einer Basis-Vereinbarung und allgemeiner Geschäftsbedingungen bot der Plattformbetreiber hier sogenannte  „Mikrotasks“ über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account konnte jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt ein Crowdworker dann einen Auftrag, muss er diesen dann regelmäßig binnen zwei Stunden nach genauen Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge dass Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.

Ein Jahr und 2.978 Aufträge später wollte das Unternehmen nach diversen Streitigkeiten den Kläger loswerden. Gegen diesen Rauswurf wehrt sich der Crowdworker seither, da er sich selbst – trotz Gewerbeanmeldung – nicht als Solo-Selbstständiger, sondern vielmehr als Arbeitnehmer in einem  unbefristetem Arbeitsverhältnis sieht; scheiterte damit aber in beiden Vorinstanzen (ArbG und LAG München).

Die Richter am Bundesarbeitsgericht drehten den Spieß nun um und stuften den Kläger in ihrem Urteil überraschend als Arbeitnehmer ein.

„Für ein Arbeitsverhältnis spricht, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.“

Der Kläger habe – wie ein Arbeitnehmer –  weisungsgebunden und fremdbestimmte Arbeit geleistet. Wann und wie er seine Arbeit leistete, war ihm zwar selbst überlassen, doch riskierte er durch die Nicht-Annahme eines Auftrags einen wichtigen Kunden zu verlieren, um damit einen höheres Level im Bewertungssystem zu erreichen und faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen.

Dies sei nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine entscheidende Einschränkung seiner arbeitsorganisatorischen Bewegungsfreiheit gewesen, woran sich aber die rechtliche Qualifizierung einer Arbeitnehmereigenschaft( 611a BGB) knüpfe. Maßgeblich sei immer die tatsächliche Durchführung eines Vertrages, auf die Bezeichnung komme es nicht an.

Auch wenn das Urteil ein wenig mehr Licht ins Dunkle bringt, ist die Sachlage unterm Strich doch ein alter Hut. Denn ob ein Crowdworker nun immer als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind, ist mehr als ungewiss. In der Praxis gab es immer schon zahlreiche Fälle, in denen sich hinter formaler Selbstständigkeit ein hohes Maß an Abhängigkeit verborgen hat. „Deshalb entfaltet dieses Urteil auch keinerlei Allgemeingültigkeit, da es einzig und allein um die alte Abgrenzungsfrage zwischen Arbeitnehmer und Solo-Selbstständiger geht,“ sagt auch die Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Andrea Panzer-Heemeier. Das Urteil habe lediglich Bedeutung für diesen einen Crowdworker und diese bestimmten Arbeitsbedingungen und sei deshalb auch nicht auf alle anderen gleichermaßen anwendbar. Denn letztlich handele es sich immer um eine Einzelfallentscheidung.

Photo: Patrick Connor Klopf on Unsplash

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