
Duzt du schon oder siezt du noch? Für viele Unternehmen ist dies schon längst keine Frage mehr. Denn mittlerweile gehört das pauschale „Du“ in vielen Firmen längst zur Unternehmenskultur und ist schon so selbstverständlich geworden, dass man es fast für ein Naturgesetz halten könnte. Inzwischen duzt schon jeder Dritte sowohl seine Kollegen als auch den Chef. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine gemeinsame Studie aus dem Jahr 2016 von Kienbaum Consultants International und der Online-Jobbörse Stepstone. In Betrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern ist es sogar jeder Zweite. Dabei ist es aber viel mehr als nur demonstrative Lässigkeit; ein völlig neuer Seinsmodus, der damit zu tun hat, wie Menschen heute zusammenarbeiten. Denn nach Ansicht der Autoren schaffe das „Firmen-Du“ Nähe und Vertrauen und stärke somit Teamgefühl und sorge für flache Hierarchien. Vorbei sind also die unschuldigen Zeiten, als alles noch so einfach war. Der Chef wurde gesiezt, alle Führungskräfte bis zum Geschäftsführer gleich auch. Nette Kollegen duzte man. Die fortschreitende Globalisierung, aber auch der stetig wachsende Einfluss der vielen Start-Ups haben die Umgangsformen in den Büros offensichtlich grundsätzlich verändert. Und kaum einer wagt noch dem Mainstream auszuscheren. „Hinzu kommt eine neue Generation von jungen Arbeitnehmern, die mit klassischen Umgangsformen nur noch wenig anfangen können, “ sagt Carolin Lüdemann, Business-Coach und Mitglied im Deutschen Knigge-Rat. Selbst eigentlich traditionellere Unternehmen haben die Botschaft vernommen und legen sich ein lockeres Image zu. Über Nacht wird dann aus der grauen Maus ein Alphatier: Jung, agil und flexibel.
„Du“ ist oft schwierig
Ganz sicher macht Duzen zwar einiges leichter, trotzdem sorgt aber eine plötzlich angeordnete „Lässigkeit“ im Job weder für mehr Wertschätzungsgefühl beim Mitarbeiter noch für mehr Wohlfühlatmosphäre. Denn eine positive Firmenkultur ist immer ein Gemeinschaftsprodukt und kann nicht diktiert werden. Sie entwickelt sich im Prozess und wird von allen Mitarbeitern und Führungskräften geprägt. Deshalb eignet sich auch nicht jedes Unternehmen inklusive seiner Mitarbeiter für eine Hauruck-Entscheidung zum „Du“, “ sagt Lüdemann. Vielen Mitarbeitern ist das traditionelle „Sie“ gerade gegenüber dem Vorgesetzten immer noch angenehmer. Die meisten, darunter auch viele junge Arbeitnehmer fühlen sich überrumpelt und verunsichert, wenn plötzlich ein „Du“ diktiert wird.“ Nicht selten führt dies auch es auch zu falscher Vertrautheit, die manche ausnutzen und es kann zu Schwierigkeiten zwischen dem Chef und den Angestellten kommen, „Denn wenn das Verhalten der Führungskraft nicht zu der assoziierten Vertraulichkeit der persönlichen Anrede passt, kann das Duzen kontraproduktiv wirken“, sagt auch Arbeitspsychologe Tim Hagemann von der Bielefelder Fachhochschule für Diakonie. Ob ein lockerer Umgangston einem Unternehmen gut tut, ist also gar nicht so einfach zu beantworten. Letztendlich ist es eine Frage der Unternehmensphilosophie und meistens auch der Branche. Aber müssen deshalb Arbeitnehmer das „angeordnete Du“ immer tolerieren?
Persönlichkeitsrecht versus Firmenkultur
Grundsätzlich gilt: Wenn im Arbeitsvertrag nichts über die Umgangsformen festgelegt wurde, kann der Mitarbeiter auch nicht verlangen gesiezt zu werden, auch wenn es zuvor jahrelang ausgeübte Praxis war. Denn es handelt sich lediglich um eine Gepflogenheit, auf deren Einhaltung der Beschäftigte keinen Anspruch hat.
Dennoch gehört die Anrede zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, wonach der Angestellte selbst bestimmen kann, ob er geduzt oder gesiezt werden möchte. Möchte ein Chef daher im Betrieb das Duzen einführen, muss er deshalb soweit vorhanden, gemeinsam mit dem Betriebsrat seine eigenen Interessen mit denen seiner Belegschaft abwägen. Das Selbstbestimmungsrecht des Mitarbeiters gilt dabei jedoch nicht grenzenlos. Denn entscheidet sich ein Arbeitgeber aus Gründen der Unternehmenskultur für die Einführung des pauschalen „Du“, gilt dies für alle Mitarbeiter. „Führt ein Betrieb die Unternehmensphilosophie ein, dass der dienstliche Umgang der Mitarbeiter auf die Anrede mit dem Vornamen und auf „Du“ umgestellt wird, so ist diese neue Umgangsform für alle bindend, “ so die Richter vom Landesarbeitsgericht Hamm in ihrem Urteil (Az: 14 Sa 1145/98). Deshalb muss der Arbeitgeber auch nicht später auf Wunsch einzelner Arbeitnehmer Ausnahmeregelungen treffen oder seine Entscheidung aufheben. Erst recht nicht, wenn dieser die Unternehmensphilosophie erst nach Jahren ohne besonderen Grund angreifen möchte.
Sollte sich das Management eines Unternehmens also für das prinzipielle „Du“ innerhalb seiner Belegschaft entscheiden, empfiehlt es sich, dem auch zu folgen. Ablehnen ist heikel und kann unter Umständen auch den Betriebsfrieden stören. Allerdings bedeutet das „Du“ ein Arbeitsplatz nicht unbedingt immer auch ein freundschaftliches Miteinander zwischen Vorgesetzen und Mitarbeiter. Denn trotz Nähe und Teamgeist kann es keine Hierarchien überwinden und somit auch niemals ein „Du“ auf Augenhöhe sein.
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