Endlich frei!

Ein Erfahrungsbericht von Isabelle Romann

2011 habe ich meine Festanstellung als Personalentwicklerin ohne Plan B gekündigt. Vorausgegangen war eine zweijährige Burnoutphase. Seitdem bin ich selbstständige Lektorin für Fach- und Sachtexte – und wieder mit mir im Reinen.

Was ist Burnout nicht?

Aus meiner Sicht entsteht ein Burnout nie aus reiner Arbeitsüberlastung. Vielmehr kommen mindestens zwei Entwicklungen zusammen:

1. Körper brennt von innen aus.

Unübersehbare Symptome sind beispielsweise Entzündungen. Bei mir stellte sich eine nach der anderen ein: Schulter, Augen, Zahnfleisch. Geschwächtes Immunsystem. Die Seele kann sich nur noch über Krankheiten Gehör verschaffen.

2. Die eigenen Werte werden massiv mit Füßen getreten.

Sie definieren sich sehr über den Beruf und geraten nun in eine Situation, in der Sie den Sinn der Arbeit nicht mehr sehen und Ihre eigenen Werte keinen Raum mehr haben. Wer perfektionistisch veranlagt ist, gibt auch weiterhin Vollgas, obwohl für ihn der Sinn in der Arbeit schon längst verschwunden ist. Es entsteht das Gefühl der totalen Überlastung und Erschöpfung.

Wie merkte ich, dass ich gegen meine Werte arbeitete ?

Meine Alarmzeichen, an die ich mich auch heute noch erinnere, als wäre es gestern gewesen: Morgens wachte ich auf und geriet schon in Panik, wenn ich an das Programm dachte, das nötig war, um das Haus zu verlassen: duschen, Kleidung auswählen, mit dem Zug zur Arbeit fahren. Ich war erschöpft und hatte Angst, das nicht zu schaffen. Manchmal war ich bei dem Gedanken daran schon in Tränen aufgelöst. Angekommen am Firmengebäude, hatte ich das Gefühl, an der Konzernpforte die Hälfte meiner Persönlichkeit abzugeben und draußen zu lassen. Ich bekam eine Idee davon, was eine gespaltene Persönlichkeit sein könnte.

Es war erschreckend. Abends und am Wochenende lag ich nur noch auf dem Sofa, hatte keine Kraft mehr, meine sozialen Kontakte zu pflegen, und konnte mich nicht mehr in gewohnter Form um meinen Haushalt kümmern. Meine ebenfalls berufstätige Mutter kam an ihrem freien Tag, um in meiner Wohnung Fenster zu putzen. Für mich war der Tiefpunkt erreicht.

Welche Rolle spielt der Arbeitgeber?

Meistens trifft den Arbeitgeber keine Schuld für einen Burnout (ja, ich weiß, eine gewagte These im Burnout-Diskurs!), jedoch ist er niemals unbeteiligt. Bestimmte Bedingungen tragen dazu bei, dass die eigenen Werte keinen Raum im Arbeitsalltag mehr haben. Eben eine Art Brandbeschleuniger. In meinem Fall verschärfte mein Arbeitsplatz in einem Großraumbüro meine Situation in dieser Phase. Denn ich brauchte für meine Aufgabe des konzentrierten Lesens und Schreibens Stille. Um mich herum saßen überwiegend Kollegen, die viel telefonieren mussten. In dieser Lärmkulisse konnten die verschiedenen Bedürfnisse nicht miteinander vereinbart werden. Heute weiß ich und ist über Studien erwiesen, dass Lärm krankmachen kann. Gespräche darüber gab es und fruchteten auch – allerdings erst nach sehr langer Zeit. Davor regierte Hilflosigkeit.

Wie konnte ich mich befreien?

An den Tag, als ich mich entschied zu kündigen, erinnere ich mich wie heute. Das Fass war für mich übergelaufen. Mir war auf einmal glasklar (abends, erschöpft, im völlig überfüllten Pendlerzug), dass ich ohne Veränderung sehr ernst erkranken würde. Und plötzlich fühlte ich, dass die Kraft für die nächsten Schritte da sein würde.

Meine Krankheits- und Erschöpfungssymptome verschwanden erst nach der Kündigung. Aber sofort nach dem Gespräch spürte ich eine totale Befreiung.

Aufgegeben habe ich viel: fast 15 Jahre Betriebszugehörigkeit, einen Festvertrag mit heute nicht mehr existenten, schützenden Kündigungsfristen, zwei Vorgesetzte, mit denen ich trotz der Differenzen in der Debatte um einen ruhigen Arbeitsplatz insgesamt sehr gut zurechtkam, und ein nettes, überwiegend weibliches Kollegenteam, das ich in dieser gemeinschaftlichen Form nie wieder finden würde. Und doch war der Abschied unerlässlich. Ich sprang – ohne Plan B ins Ungewisse. Aber ich konnte nicht länger warten. Selbstständig machte ich mich mit etwas, das ich aus dem Stegreif (ohne neue Aus- oder Weiterbildung, aber mit jahrelanger Erfahrung und einem gewissen Talent) gut konnte: als Lektorin für Fach- und Sachtexte. Und ich habe es bis heute nicht bereut.

Was sind meine Erkenntnisse?

Die beschriebene Phase war nur der Anstoß, über meine Art des Arbeitens, des Lebens und über meine Werte nachzudenken. Die Merkmale meines Perfektionismus, z.B. ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Planung, waren nicht plötzlich verschwunden. Es gab natürlich auch danach immer wieder Situationen, in denen ich erkannte, dass ich gar nicht alles kontrollieren muss und dass es trotzdem immer weitergeht.

Ich habe gelernt, dem Fluss des Lebens zu vertrauen.

Dieses Vertrauen hatte mir bis zu diesem Zeitpunkt komplett gefehlt. Diese Erkenntnis hat aber die Basis dafür gelegt, dass ich heute Warnzeichen erkenne und mich weiterentwickele:

Es geht darum, gut für mich selbst zu sorgen und nicht erneut in einen alles überwältigenden Funktioniermodus zu verfallen. Kopfmenschen wird das bekannt vorkommen. Für mich ist es jeden Tag wichtig (und wird es wohl immer bleiben), dass ich Pausen einplane und allen Teilen der Seele einen Raum gebe.

Was tue ich konkret?

Ich meditiere täglich, tanke frische Luft und praktiziere regelmäßig Yoga (die entspannendere Variante Yin Yoga). Außerdem plane ich Auszeiten fest ein, sonst „vergesse“ ich sie oder finde Ausreden (denn die gibt es für Selbstständige immer).

Die Werte, die mich in starkem Maße ausmachen, sind Freiheit und Selbstbestimmung

Mit der Selbstständigkeit habe ich nun die passende Arbeitsform gefunden. Viele sagen immer wieder: „Wie mutig, dass du gekündigt hast!“ Auf der rationalen Ebene konnte ich den Satz damals verstehen, aber erst heute kann ich den Mut auch selbst so empfinden. Damals war es die einzige Option, um (seelisch und später sicher auch körperlich) zu überleben. Die Formulierung mutet dramatisch an. Aber genau das war es – und nicht weniger. Im Nachhinein betrachtet bin ich sehr dankbar für diese akute Episode in meinem Leben. Sie ermöglicht mir, heute ein viel bewussteres und zufriedeneres Leben zu führen, und hat den Startschuss für meine persönliche Weiterentwicklung gegeben. Ohne die Krise hätte ich einen sehr wertvollen Teil von mir gar nicht entdeckt.

Mein Tipp für andere?

Realisieren Sie so früh wie möglich, dass Sie selbst etwas tun müssen. Je länger Sie verharren, umso tiefer dreht sich die Negativspirale – physisch wie psychisch. Holen Sie sich unbedingt Hilfe. Oft unterstützt ein erfahrener Hausarzt oder ebnet den Weg zu Spezialisten. Denn jeder Verlauf ist individuell. Aber ganz ohne Veränderung der Lebensumstände wird es in den meisten Fällen nicht gehen. Denn es ist etwas sehr Essenzielles aus den Fugen geraten, und Sie werden dafür sorgen müssen, dass Ihre Seele wieder ins Gleichgewicht gerät.

Photo: PersnicketiPrints on Unsplash

Weiterführende Ratgeber zum Thema: Burnout/Depression:

Depression und Burn-out überwinden: Ihr roter Faden aus der Krise: Die wirksamsten Selbsthilfestrategien: Dr. Sabine Gapp Bauß

Burn-out: Wenn die Maske zerbricht: Dr. Manfred Nelting

Burn-out und dann: Wie das Leben nach der Krise weitergeht: Carola Kleinschmidt

Interview: Dr. Manfred Nelting und Laura Malina Seiler: Wege aus Burn-out und Depression

Die Autorin:

Isabelle Romann ist freie Lektorin für Fach- und Sachtexte und im Ruhrgebiet ansässig. Sie sorgt dafür, dass die Texte ihrer Kunden einen professionellen Eindruck hinterlassen. Individuelle Buchprojekte und wissenschaftliche Texte betreut sie genauso gern wie Veröffentlichungen im Bereich Unternehmenskommunikation und PR.
Kontaktdaten und Blog von Isabelle Romann: www.isabelle-romann.de

11 Kommentare zu „Endlich frei!

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