
Laut der aktuellen DAK-Studie “ Psychoreport 2019″ hat sich der Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen von Arbeitnehmern in den letzten Jahrzehnten mehr als verdreifacht. Die Ursachen sind vielfältig. Wachsender Stress, Leistungsdruck und mangelnder Ausgleich im Arbeitsleben werden als wesentliche Gründe für die Zunahme der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme genannt. Allerdings zeigt die Studie auch, dass mit dem Thema heute viel offener umgegangen wird, als vor ein paar Jahren. Viele Menschen sind deshalb auch immer öfter bereit, über ihre psychischen Probleme zu sprechen und sich behandeln zu lassen. Gerade im Bereich der Depression, sei eine zunehmende Enttabuisierung feststellbar, so die Autoren der Studie. Mit der Konsequenz, dass „immer mehr Menschen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen“, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
Endlich, sollte man meinen. Aber mit wem sollen die Betroffenen sprechen? Denn auf die Schnelle ist meistens kein Therapieplatz zu bekommen. Durchschnittlich 20 Wochen müssen sich Patienten vor der Erstanfrage bis zum Behandlungsbeginn gedulden. Denn es mangelt grundsätzlich an therapeutischem Personal. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 27000 kassenärztlich zugelassene Psychotherapeuten; demgegenüber stehen aber ungefähr vier Millionen Menschen mit Depressionen, so die Einschätzung der Psychotherapeutenkammer. Menschen mit psychischen Erkrankungen benötigen aber in der Regel schnelle Hilfe.
„Zu lange Wartezeiten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich psychische Erkrankungen verschlimmern oder gar chronisch werden,“ sagt Dietrich Munz.
Zur Zeit fehlen aber geschätzt etwa 1700 Praxen. Zeitnah einen passenden Therapieplatz zu ergattern, ist demnach wie ein Sechser im Lotto.
Projekt „Friendship Bench“
Eine noch viel aussichtslosere Situation fand Dixon Chibanda, außerordentlicher Professor am Klinischen Forschungszentrum der Universität Simbabwe und Direktor der Forschungsinitiative für psychische Gesundheit in Afrika vor, als er 2006 im Rahmen eines Public Health-Projektes die „Friendship-Bench“ in Simbawe entwickelte. Das ehemalige Rhodesien war nach über dreißig Jahren Diktatur stark gebeutelt. Es fehlte vieles, vor allem aber ein funktionierendes Gesundheitssystem und ausreichend finanzielle Mittel. Psychotherapie war zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannt. Trotzdem wurden die alltäglichen Probleme komplexer und es reichte den Menschen schon lange nicht mehr, zu einem traditionellen Heiler zu gehen, Opfer zu bringen oder Kräutertees zu trinken. Das Leben auf dem afrikanischen Kontinent und die stetig wachsenden Sorgen quälten sie. Ihre Seelen blieben dabei auf der Strecke, weil es zunehmend an Hilfsangeboten fehlte.
So startete Chibanda im Jahr 2007 mit 14 Großmüttern (Grannys) aus der Gemeinde Mbare (Harare) das „Projekt Friendship Bench“ (Freundschaftsbänke) als Versuch die akute Lücke zwischen Therapie und Krankheit zu schließen. Er entwickelte eine Problemlösungstherapie in der Shona-Sprache, die sich zwar grundsätzlich auf Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie stützt, aber auch wesentliche traditionelle Konzepte der lokalen Kultur einbezieht. Vor allem die des „Erzählens“. Schlüsselbegriffe wie „kuvhura pfungwa“, was bedeutet, den Geist zu öffnen, „kusimudzira“ (erhebend) und „kusimbisa“ (stärkend), bilden die Grundlage des Friendship Bench-Ansatzes.

Seitdem haben Chibanda und sein Team über 400 Großmütter in evidenzbasierter Gesprächstherapie geschult, die sie in über 70 Gemeinden in Simbawe kostenlos anbieten. Als Laientherapeuten seien die Grannys nach Auffassung des Therapeuten einfach eine ideale Besetzung, da sie über ein ausgeprägtes Einfühlungs- und Reflexionsvermögen verfügten.
„Man kann mit ihnen reden und sich beraten; sie sind geduldig und können auch gut zuhören. Und sie schicken den Patienten die richtigen und guten Gedanken. Die Granny weiß aus Erfahrung, wie schwer es im Leben ist, dem eigenen Fühlen und Denken zu folgen“, erklärt Dixon Chibanda in einem persönlichem Interview.
Im Schnitt dauert die „Grannyherapie“ sechs Wochen. Es handele sich dabei mehr um eine Art moralische Aufrichtung. Eine Suche nach Lösungen, die alle Akteure und auch die Familien der Patienten einbindet. Intensive Nachsorge und anschliessende Aufnahme in den Häkelkurs inklusive. „Die Großmütter stabilisieren und finden neue Wege im Alten. Wunder vollbringen sie aber nicht,“ so Chibanda.
Was auf den ersten Blick ein bisschen an Lucy von den Peanuts („the doc is in“) erinnert, ist inzwischen zu einem erfolgreichen Konzept geworden. Allein 2017 hat die Friendship Bench, über 30.000 Menschen in Simbabwe geholfen. Inzwischen wurde die Methode auch empirisch überprüft und in andere Länder ausgedehnt.
Ein scheinbar gut funktionierender Ansatz, der zwar ganz klar eine jahrelange Psychotherapie nicht ersetzen kann, vielleicht aber dennoch eine Lösung in unseren Breitengrade sein könnte?! Auch wenn die Bundesregierung nach jahrelangem zähen Ringen endlich die Notwendigkeit einer umfassenderen Bedarfsplanung für Psychotherapeuten inzwischen erkannt hat, müssen nun auch Taten folgen. Und das kann bekanntlich dauern….
Und bis dahin: Brauchen wir Friendship Benchs in jeder Sackgasse Deutschlands! Denn die Betroffenen haben lange genug gewartet.
Mehr über das Projekt „Friendship Bench“ hier:
Photos: Titelbild: Peter Kvetny on Unsplash; Bild im Text: Dan Meyers on Unsplash