
Globalisierung, Dynamik, Vernetzung, Shareholder Ansprüche, erodierende Märkte und die Digitalisierung haben in den letzten Jahrzehnten so ziemlich jede Grundlage verändert, auf der noch heute viele Lehrbücher der Betriebswirtschaft und Managementlehre aufbauen. Die Zeit des Managements von der Stabilität ist spätestens seit der Jahrtausendwende vorbei. Heute erleben wir ein sich permanent änderndes wirtschaftliches Umfeld – das Management von Instabilität wird zur zentralen Herausforderung, für jedes Unternehmen.
Anpassung ist das Zauberwort
Also höchste Zeit über unsere eigenen Überzeugungen, Denkweisen und Wissensparadigmen nachzudenken. Was müssen wir anpassen und was wird sich auch in Zukunft bewähren?
Wie lange arbeiten Sie z.B. schon mit den bewährten Tools des Projektmanagements, den Ansätzen des strategischen Managements, den Instrumenten eines Zielgruppen focussierten Marketings? Aus welcher Zeit stammt ihr Wissen, wie man Unternehmen führt – auf welcher Grundlage wurden sie ausgebildet? Woran orientieren sie sich?
Könnte es möglich sein, dass sie über viele Jahre hinweg in stabilen Branchen, mit in etwa berechenbaren Kunden auf bekannten Märkten zu tun hatten?
Dann Vorsicht! Es könnte sein, dass sie versuchen mit den Muster von gestern die Probleme von heute zu lösen. „Drop your tools“ – werft Eure Werkzeuge, eure Gewohnheiten, die Art wie ihr Menschen führt, die zwanghafte Neigung alles unter Kontrolle haben zu wollen, über Bord, fordert Karl E. Weick, Professor für Organisationales Verhalten und Psychologie an der Universität von Michigan. Denn die Komplexität mit der Führungskräfte umgehen müssen, steigt gewaltig!
Gerade unter diesem aufbauenden Druck, beobachten wir reflexartiges Handeln und den Rückgriff auf vermeintlich bewährte Handlungsmuster. Derartige Automatismen haben zwar durchaus ihre Berechtigung, weil sie auf der einen Seite entlasten in Phasen zunehmender Unsicherheit und Instabilität entlasten. Auf der anderen Seite bleiben aber immer mehr ungute Gefühle bei Führungskräften und Mitarbeitern zurück.
Verschiedenste Studien haben ergeben, dass ein Großteil der Manager einen radikalen Wechsel im Managementdenken für zwingend notwendig halten; sechzig Prozent verbringen ihre Zeit in Meetings, wobei die meisten davon als reine Zeitverschwendung angesehen werden. Hinzu kommt, dass viele inzwischen unter berufsbedingten Krankheiten, wie Bluthochdruck oder Burn-Out leiden. Und auch die Arbeitnehmer sind nicht sonderlich in ihrem Job engagiert, wie die Ergebnisse der Gallup Studien von Jahr zu Jahr anschaulich zeigen. Klare Signale an die Verantwortlichen sich die Ursachen für eine derartige Ressourcen-verschwendung einmal gründlicher anzusehen!
Neue Leitsätze notwendig
Das Forschungsprojekt mit dem Titel „Führung neu erleben – Lernen von Musterbrechern“ des Instituts für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr in München hat sich damit ausführlich beschäftigt. Im Rahmen des Projekts wurden nachfolgende sieben Handlungsformen identifiziert, die in der Tiefenstruktur viele europäischer Unternehmen verwurzelt sind, deren Führungsverhalten nachhaltig prägen und letztendlich einen entscheidenden Einfluss auf die Unternehmensführung haben:
Führung steuert!
Der Kapitän muss auf die Brücke! Spätestens in Krisenzeiten muss die Führungskraft ans Ruder, klare Direktiven werden ausgegeben und definierte Maßnahmen bringen das Unternehmen wieder auf Kurs.
Führung kontrolliert!
Vertrauen hat seine Grenzen! Es gibt zu viele Anspruchsgruppen, jeder will mitreden und wer hat schon alle Informationen? Deshalb braucht es klare Regeln und Kontrolle!
Führung standardisiert!
Normierung schafft Skaleneffekte! Führung funktioniert mittels Standards und Normen. Beherrschbarkeit ist das Ziel. Normierung und Standards sind die Mittel.
Führung entscheidet rational!
Es kann nur eine richtige Lösung geben! In einem Unternehmen muss mit Hilfe bewährter, auf Fakten basierender, rationaler Entscheidungsmethoden die Objektivierung jeder Entscheidungssituation gelingen.
Führung sucht den kurzfristige Erfolg!
Langfristig sind wir alle tot! Bei aller geforderten Nachhaltigkeit: Das Problem tritt jetzt auf, die Lösung muß schnell gefunden werden. Ausserdem wollen Kapitalmärkte und Shareholder kurzfristig befriedigt werden
Führung beschleunigt!
Zeit ist Geld. Der Zeitwettbewerb lässt uns keine Wahl. Spätestens seit Frederick Winslow Taylor, der mit der Stoppuhr in der Hand sein Scientific Management begründete, ist es eindeutig: Schneller ist besser.
Führung orientiert sich an Rahmenbedingungen!
Man kann nicht alles ändern. Das Wirtschaftssystem ist in einen äußeren Rahmen eingebettet, der gangbare Weg bereits im Vorfeld festgelegt. Dies sind unabänderliche Bedingungen.
Selbstverständlich erhebt diese Aufzählung keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Abgeschlossenheit. Dennoch sind diese sieben Muster weit verbreitet. Sie stammen aus einer Zeit, in der Märkte noch ungesättigt und Branchen klar zuzuordnen waren; eine Zeit in der es eher um ein mechanisches Verwalten, Organisieren und Managen als um kreatives Navigieren im Sturm ging.
Die von vielen Unternehmen heute angewendete Managementlehre ist eine Lehre von Führung in stabilen Umfeldern. Die Marktverschiebungen und die gesellschaftlichen Veränderungen sind jedoch so gravierend, dass die Erfolgsmuster von gestern, den Misserfolg von morgen bedeuten.
Benötigt wird Anwendungswissen für das Management von Instabilitäten; d.h. Unternehmensführung mit einer anderen Haltung!
Sollen Führungskräfte also nicht mehr steuern, blind vertrauen, auf alle Synergien verzichten, nach Gefühl entscheiden, nur an die Zukunft denken, kontemplativ den Stillstand zelebrieren und alle Sachzwänge ignorieren?
Nach der Untersuchung von mehr als dreißig Musterbrechern, unter anderem aus der Industrie und Wirtschaft, Kirche, Kunst, Staat und Schauspiel kommt das Forschungsprojekt zu folgendem Schluss:
Learn to surf!
Nicht der Gegenreaktion wird die Lösung sein! Es wird vielmehr darauf ankommen, dass sich die Führungskräfte zu Meistern im Umgang mit paradoxen Situationen entwickeln und
– die Nichtsteuerbarkeit steuern
– der vertrauten Kontrolle misstrauen
– die Vielfalt als Standard etablieren
– rational Gefühle zulassen
– kurzfristig weitsichtig sind
– im Beschleunigen innehalten
und sich selbst als den größten Sachzwang erkennen.
Wo soll der Einzelne beginnen?
Eine Unternehmens- und Führungskultur, die Paradoxien akzeptiert und zulässt, kann nur langsam und in kleinen Schritten entstehen. Führungskräfte die Interesse daran haben, aus eingefahrenen Verhaltensweisen auszubrechen, können bei sich und ihrem eigenen Führungsbereich anfangen.
Wem es gelingt, gelegentlich inne zu halten und das eigene Handeln zu hinterfragen oder bewusst einmal eine andere Haltung einnimmt, hat bereits den ersten Schritt getan, meinen die Experten. Nach und nach können so Routinen unterbrochen und im eigenen Bereich eine alternative Führungskultur gelebt werden. Es geht dabe nicht nur um Tools! Es geht um die Haltung mit der Führung gelebt wird!
Es geht um Haltung!
Führungseliten werden künftig wieder verstärkt Reaktionseliten sein müssen. Wirtschaft ist nicht abgekoppelt vom sozialen Leben einer Gesellschaft, Führungskräfte sind immer auch ein Spiegelbild der aktuellen gesellschaftlichen Situation.
Mut eigene Wege zu gehen, unabhängig zu bleiben und dennoch vernetzt zu sein, scheint zwingend notwendig, in einer Zeit, in der wir alle die selben Zulieferer haben, unsere Prozesse nach gleichen Schemata optimieren, von den gleichen Beratern beraten werden und von denselben Coaches das gleiche Wissen gelehrt bekommen, wie man Unternehmen führen kann.
Und letztendlich entscheidet über die Qualität der eigenen Haltung immer die Sichtweise der anderen. Bin ich in der Lage meine Vorstellung vom „richtigen und erfolgreichen“ Weg in Interaktion mit den Menschen um mich herum zu bringen? Weiss ich wirklich was meine Kunden wünschen, wie meine Lieferanten „best in class“ werden können, welche Punkte meinen Mitarbeitern wichtig sind, worauf meine Shareholder Wert legen und was die Gesellschaft von mir als Unternehmer und Top Manager fordert?
Bin ich also in Beziehung mit dem Unternehmen, mit dem System, für das ich freiwillig die Verantwortung übernommen habe und für eine Zeit geliehen bekommen habe?
Die Antwort auf die Frage, was Unternehmensführung nachhaltig auszeichnet, ist schwierig und einfach zugleich:
Die Arbeit an der eigenen Haltung!
Photo: Leio Mc Lac on Unsplash