Vom Neid der Erfolglosen

Haben Sie schon einmal etwas von dem Tall Poppy Syndrom gehört? Wörtlich übersetzt bezeichnet „Tall Poppy“ eine sehr groß gewachsene Mohnblüte. Eine, die mit ihrem Kopf aus ihrem Umfeld herausragt und deshalb am ehesten gekappt wird. Wissenschaftler verstehen darunter aber auch eine erfolgreiche Person, die sich selbst relativ exponiert darstellt, so dass andere Menschen Schadenfreude empfinden, wenn diese Mohnblüte irgendwann einmal fällt. Prominente Beispiele in Deutschland sind sicher in Uli Hoeneß oder auch Boris Becker zu finden. Beide sind zweifellos als Tall Poppy aufgetreten und ihre Geschichte zeigt sehr eindrucksvoll, dass erfolgreiche Menschen ziemlich viel riskieren, wenn sie aus der Masse ragen, diesem Bild aber irgendwann nicht mehr entsprechen.

Aber warum ist das eigentlich so?

Im heutigen Gastbeitrag beschreibt die Karriereberaterin, Coach & Psychotherapeutin Sonja Rieder warum es in unserer Gesellschaft und in der Arbeitswelt gerade Ausnahmepersönlichkeiten häufig besonders schwer gemacht wird:

Schon der römischen Historiker Titus Livius beschreibt die Legende, nach der Lucius Tarquinius Superbus, letzter römischer König, einst gefragt wurde, wie man denn die eigene Machtfülle am besten gegenüber besonders hervorstechenden Untertanen absichern könne. Als Antwort soll er nur mit einem Stock energisch durch ein Mohnfeldfeld gefahren sein und dabei alle höherragenden Blüten geköpft haben.

Die Moral von der Geschichte? Sie lautet wohl:

Besonders sein ist gefährlich. Talent, Klugheit, Wissen, Erfolg sind gefährlich. Und sich mit all dem sichtbar machen erst recht.

Nun wissen Sie vermutlich schon, wohin die Reise geht: Ja, das Thema ist auch nach über zweitausend Jahren nicht ausgestanden. Die ganz Klugen, Herausragenden, Begabten wollen wir auch heute oft nicht. Probleme tauchen immer wieder auf, in größeren und kleineren Unternehmen, Organisationen, Vereinen. Überall, wo Menschen zusammen arbeiten. Zwar wird heute nicht mehr real geköpft, wohl aber metaphorisch: Sabotage, Gerüchte, Unterstellungen, Mobbing – es gibt ein wirkmächtiges Waffenarsenal, offen für alle Skrupellosen.

Die Redewendung Cutting down tall poppies wurde seit den 1980er Jahren in Australien und Neuseeland immer populärer und beschreibt das Kleinmachen herausragender, erfolgreicher Menschen. Dass wir im Deutschen noch kein Äquivalent dafür haben, ist kein Hinweis auf die fehlende Problematik.

Werfen wir deshalb einen gründlichen Blick auf unsere globalisierte Wirtschafts- und Arbeitswelt, geprägt von Konkurrenz, massivem Leistungsdruck und einer eingeschränkten Zahl an Arbeitsplätzen und Aufstiegsmöglichkeiten. Eine Welt mit Gewinner- und Verliererseite. Wer will hier nicht gerne glitzern, glänzen, hervorstechen? Unbestritten, Erfolg ist ein schönes Gefühl.

Wie kann es aber sein, dass die Existenz von Neid offenbar immer wieder überrascht? Eine Wettbewerbskultur ganz ohne dieses stechende Gefühl – das wäre schön, ist aber durch und durch unrealistisch: Neben Angst ist Neid eine allgegenwärtige Emotion, wenn auch gut versteckt durch eine schier undurchdringliche Tabuisierung. So hat die US-amerikanische Philosophin Martha Nussbaum („Königreich der Angst“) in ihren Ausführungen auch den Neid nicht vergessen. Er gehört in Gesellschaften der westlichen Welt wohl zum „Emotionspackage“, mit dem wir zurechtkommen müssen.

Hinzu kommt, dass sich in den sozialen Medien jeder mit jedem vergleicht und viele ihr Katzensilber wie echten Schmuck tragen.

Menschen haben mitunter große Ambitionen, sind aber nicht bereit, den Preis dafür zu bezahlen.

Oft sind diese Kosten auch nicht sichtbar, nicht vorstellbar. Das führt zu unrealistischen Ideen darüber, wie berufliche Erfolge heute zustande kommen. Und füttert Neid, Missgunst und Schadenfreude.

 Keine Konkurrenz ohne einen Schuss Neid

Jeder Zunft ihren Zores. Allen gleich ist allerdings, dass es den besonders Guten oft ungebührlich schwer gemacht wird. Zu groß ist die Angst der Neiderfüllten vor dem Überflügeltwerden, zu klein ihr Selbstbewusstsein. Da nützt es auch wenig, wenn Unternehmen im globalen war for talent Hochbegabungen gerne an sich binden möchten. Genau jene Talente haben gute Chancen, an den Minderwertigkeitsgefühlen der Stammmannschaft zu scheitern – so banal kann die Sache laufen.

 Ob Kunst, Kultur, Sport, Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft: alle Bereiche fordern mittlerweile enormen Einsatz. Nischen für low performer werden enger. Wie wohltuend kann es da für manche sein, potentiell Gefährliche ein wenig in Schranken zu weisen.

Je jünger die Überflieger, desto leichter das Unterfangen: Einer jungen Frau mit juristischem Ausnahmetalent wird der Wunschberuf Richterin ausgeredet mit dem Argument, fachliches Talent sei für den Job nicht wichtig, könne sogar hinderlich sein. Was dem Vorfall allerdings zugrunde liegt: Die weit weniger begabte Beurteilende fühlt sich durch das unübersehbare Können der Jüngeren verunsichert und bedroht. Diese lässt sich prompt abschrecken. Später beginnt sie, den Vorfall zu hinterfragen und bereut ihre Entscheidung.

Ein neuer Controller, geschmückt mit dem Abschluss einer Top-Uni bedroht einen anderen Kollegen mit Fachhochschul-Abschluss offenbar so sehr in dessen Selbstbewusstsein, dass Letzterer erstmal keine Informationen weitergibt und dem Neueintretenden den Jobbeginn absichtlich erschwert.

Tall Poppies werden nicht nur von Vorgesetzten kleingemacht: auch so manche Kollegenschaft beherrscht das Spiel.

Wie kann man sich schützen?

Lektion Nr. 1: Rechnen Sie mit Neid im Berufsleben. Er ist sehr, sehr häufig. Man kann ihn nie ganz verhindern. Seien Sie gewappnet. Und auch ehrlich mit sich selbst: Waren Sie wirklich noch nie neidisch? Wäre doch menschlich. Damit kann man auch andere besser verstehen. Letztlich kommt es immer darauf an, wie man damit umgeht.

Lektion Nr. 2: Achten Sie darauf, ungeschriebene Regeln der Organisation zu erkennen und zu beachten. Die Kombination aus Neidgefühlen und Regelbruch wird oft besonders hart bestraft, etwa durch Mobbing.

Lektion Nr. 3: Finden Sie heraus, wer Ihre Neider sind. Sie sind anfangs oft stille Feinde, die später aber laut werden können. Gehen Sie mikropolitisch klug mit ihnen um. Vermeiden Sie allerdings besonderes Entgegenkommen: menschliche Größe stachelt Neidende meist nur noch mehr an, weil es nur ein weiterer Bereich ist, in dem sie sich unterlegen fühlen.

Lektion Nr. 4 ist die allerwichtigste:

Sie sind richtig und in Ordnung, auch wenn Sie bei anderen Neidgefühle auslösen! Vermeiden Sie Überheblichkeit und Angebertum. Zeigen Sie sich nicht allzu perfekt und lassen Sie kleine Fehler sichtbar. Aber fallen Sie nicht drauf rein, sich durch Neidende verunsichern zu lassen. Damit hätten diese ihr Ziel erreicht.

Es ist also gar nicht so leicht ein „Tall Poppy“ zu sein. Im Gegenteil. Wer viel riskiert, kann umso tiefer fallen. Auf unsere Gesellschaft übertragen würde das bedeuten, dass es zwar durchaus erfolgreiche Menschen geben darf. Diesen wird ihr Ruhm aber nur dann gegönnt, wenn sie sich auch weiterhin mit dem Durchschnitt identifizieren. Geht das überhaupt?

Über diese schwierige Frage denken wir in diesem verrückten Herbst einmal in Ruhe nach. Zeit haben wir ja genug.

Photo: Sammy Williams on unsplash

Weiterführende Literatur:

 Möller, Lenelotte, Hrsg. (2009). Titus Livius, Römische Geschichte. Von der Gründung der Stadt an. Wiesbaden: marixverlag.

 Nussbaum, Martha. (2019). Königreich der Angst. Gedanken zur aktuellen politischen Krise. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Smith, Richard H. (2013). The joy of pain. Schadenfreude and the dark side of human Nature. Oxford/New York: Oxford University Press.

Weiterführende Links:

Immer mit der Ruhe

Kampf gegen Windmühlen

 Homepage Sonja Rieder

4 Kommentare zu „Vom Neid der Erfolglosen

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